Arktis Antarktis - Klimamotoren der Erde
Profil des Wissenschaftlers
Peter Lemke studierte Physik, promovierte und habilitierte sich in Meteorologie an der Universität Hamburg. Seit Februar 2001 ist Lemke (Jahrgang 1946) Professor für Physik von Atmosphäre und Ozean an der Universität Bremen. Außerdem leitet er zurzeit den Fachbereich Klimawissenschaften am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Für den vierten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat er das Kapitel „Observations: Snow, Ice and Frozen Ground“ koordiniert. 2007 wurde das IPCC mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Pressebericht
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bild der wissenschaft interviewt...
„Die Ozeanmodelle hinken hinterher“
Die Polkappen schmelzen – ist das gesichertes Wissen oder Panikmache? Peter Lemke, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, im bdw-Interview.
bild der wissenschaft: Wie oft waren Sie in den Polargebieten, Herr Professor Lemke? PETER LEMKE: Viermal in der Arktis und dreimal in der Antarktis. Insgesamt habe ich mehr als 15 Monate meines Lebens in diesen Gebieten verbracht.
Welche Region ist für Sie faszinierender? In der Arktis war ich stets im Sommer, das heißt: viel Nebel, wenig Sonnenschein, um null Grad Celsius. Da ist man schon mal vier Wochen unterwegs, ohne die Sonne zu sehen. Auch Tiere bekommt man selten zu Gesicht. Während einer zweimonatigen Tour haben wir etwa zehn Eisbären gesehen. Alles andere Getier lebt unter der Eisscholle, weil der Räuber oben herumläuft. In der Antarktis ist das anders. Dort sind die Räuber im Wasser – Seeleoparden und Killerwale –, und die Pinguine sind auf der Scholle. Die größeren Eisberge hat die Antarktis.
Und welche Region ist wissenschaftlich spannender? Spannend sind beide – doch unter unterschiedlichem Blickwinkel. Die Arktis verändert sich zurzeit drastisch. Das Meereis zieht sich im Sommer immer weiter zurück. Die Mechanismen zu verstehen und die weitere Entwicklung vorherzusagen, ist unser größtes Anliegen. In der Antarktis gibt es Schwankungen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, teils auch von Jahr zu Jahr. Aber ein großer Trend ist nur auf der antarktischen Halbinsel zu sehen. Dort wurde es in letzter Zeit deutlich wärmer.
Was ist so schlimm, wenn das Packeis im arktischen Sommer verschwindet? Der Meeresspiegel erhöht sich dadurch ja nicht. Natürlich hat auch diese Veränderung positive Seiten. Viele Reedereien, die mit dem Fernen Osten Handel treiben, könnten dadurch im Sommer den halben Weg sparen, was Treibstoffe und Kohlendioxid-Emissionen reduziert. Für die Menschen im betroffenen Gebiet sieht es allerdings anders aus. Wenn der arktische Ozean im Sommer eisfrei ist, verursacht jeder kleine Sturm große Wellen. Sie schlagen an die Permafrostküsten und zerbröseln sie im wahrsten Sinn des Wortes. Die Siedlungen dort werden vom Meer regelrecht abgefressen.
Welche Auswirkungen hat der Eisrückgang auf das Leben im Meer? Im porösen Meereis leben Algen, von denen sich Krebse ernähren. Von den kleinen Krebsen leben die großen Krebse, von denen wiederum die Fische und Robben, und die werden schließlich von den Eisbären gefressen. Das heißt: Eine ganze Nahrungskette verschwindet.
Was wird aus Grönland? Der Massenverlust dort ist inzwischen so groß, dass das Abschmelzen der Eismasse und der Massenverlust durch Eisberge den Meeresspiegel in jedem Jahr um 0,2 Millimeter steigen lassen.
Tritt auf Grönland also demnächst überall der blanke Fels zutage? Das nicht. Die Eiskalotte ist viele Hundert Meter dick. Im Zentrum misst sie sogar drei Kilometer. Nachgewiesen ist, dass die Gletscher in Westgrönland an Geschwindigkeit zulegen. Ein Grund dafür ist immer mehr Schmelzwasser, das das Eis schlüpfrig macht und dadurch den Gletscherrutsch beschleunigt. Auch die landeinwärts sich dem Gletscher anschließende mächtige Eismasse treibt ihn dem Meer zu. Im Lauf der Zeit lässt der Druck durch das Inlandeis etwas nach – und der Gletscher wird wieder langsamer. Diesen Vorgang in ein Modell zu fassen und Vorhersagen für die nächsten 100 Jahre zu machen, ist sehr schwierig.
Wie entwickeln sich die Eismassen im Südpolargebiet? Auch dort kommt es zu Massenverlusten durch Gletscher und Schelfeis. Im Gegensatz zu Grönland sind Schmelzprozesse an der antarktischen Oberfläche – mit Ausnahme der flächenmäßig sehr kleinen Halbinsel – aber noch nicht zu erkennen. Sowohl Grönland als auch die Antarktis verlieren also im Jahresmittel Eismasse. Beide Gebiete tragen mit jeweils etwa 0,2 Millimeter gleich viel zum jährlichen Meeresspiegelanstieg bei. Doch das könnte sich ändern. Wenn es in der Antarktis um ein paar Grad wärmer wird, dürfte dort mehr Schnee fallen, was insgesamt zu einer Eismassenzunahme führen könnte. Bei einer weiteren Klimaerwärmung könnte die Antarktis somit erst einmal mehr Wasser binden.
Keine Spur von einem völligen Abschmelzen der polaren Eismassen? Das grönländische Eis liegt in einer gigantischen Felsschüssel. Deshalb glaube ich nicht, dass uns von dort in absehbarer Zeit ein dramatischer Meeresspiegelanstieg ins Haus steht. Ein totaler Eisverlust auf Grönland würde sich über viele Hundert, wenn nicht tausend Jahre erstrecken. Was die Antarktis angeht, wissen wir noch weniger. Um das dort gebundene Wasser zu verflüssigen, müsste die Erwärmung schon einige Tausend Jahre andauern.
Sie gehören nicht zu den Warnern vor einem dramatisch ansteigenden Meeresspiegel?Zurzeit nicht. Meine Meinung könnte sich aber durch bessere Daten oder Modelle ändern. Das Eis ist eine träge Masse, die nur langsam schmilzt. Wir in Deutschland können dadurch beim Deichbau mithalten. In anderen Gebieten der Erde geht das allerdings nicht – etwa in Bangladesch oder ganz aktuell in Birma. Dort kommen schon jetzt, bei einem bescheidenen Meeresspiegelanstieg, Tausende oder sogar Hunderttausende durch Sturmfluten ums Leben.
Das IPCC geht davon aus, dass sich der Meeresspiegel in unserem Jahrhundert – je nach Verbrauch fossiler Energie durch die Menschen – zwischen 18 und 59 Zentimetern heben wird. Stefan Rahmstorf, Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, meint, dass es wohl eher 50 bis 140 Zentimeter werden. Angesichts solcher Diskrepanzen darf sich kein Experte wundern, wenn Außenstehende stöhnen, die Wissenschaftler seien ja völlig uneins im Hinblick auf die Zukunft unseres Klimas. Eine genaue Quantifizierung darf man beim heutigen Wissensstand nicht erwarten. Wir wissen einfach zu wenig über die dynamischen Veränderungen der großen Eisschilde. Der nächste IPCC-Bericht in fünf Jahren dürfte mehr Klarheit bringen. Ich selber bin mit Abschätzungen vorsichtig, weil wir eben noch nicht verstehen, warum sich die Gletscher vor Eisschilden mal schneller und dann wieder langsamer ins Meer ergießen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Klimamodelle sind für mich das beste Vorhersagewerkzeug, das die Wissenschaft hervorgebracht hat. Gesellschaftliche Vorhersagemodelle sind weitaus unzuverlässiger – etwa zur Steuerschätzung, zur Prognose des Wirtschaftswachstums oder zukünftiger Technologieentwicklungen oder gar zur Entwicklung des Aktienmarktes.
Was sind für Sie die herausragendsten Ergebnisse des internationalen Polarjahrs IPY 2007/2008, Herr Lemke? Die interdisziplinären Untersuchungen im IPY haben eine Vielzahl von neuen Erkenntnissen über die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Klima- und dem Ökosystem in den Polargebieten und deren Änderung erbracht. Sie haben unter anderem gezeigt, dass die Erwärmung in der Arktis unvermindert weitergeht. Messungen der Meereisdicke in der zentralen Arktis haben auf einer Polarsternexpedition im Sommer 2007 eine deutliche Reduktion von etwa einem Meter ergeben. Die Meereisausdehnung war die geringste seit Beginn der Satellitenbeobachtungen vor etwa 35 Jahren – mit drastischen Änderungen im Ökosystem. Während der letzte arktische Sommer der wärmste seit Aufzeichnung der Klimadaten war, zeigte sich der Sommer im Weddellmeer der Antarktis von seiner kalten Seite. Messungen ergaben zudem, dass dort die Tiefsee nach jahrelanger Erwärmung wieder kälter wird. Eine wesentliche Aufgabe des internationalen Polarjahrs ist es, diese unterschiedliche Entwicklung in beiden Polargebieten zu erklären.
Woran mangelt es in der heutigen Klimaforschung? Für eine wirksame Vorhersage braucht man zwei Dinge: ein gutes Beobachtungssystem und ein gutes Klimamodell. Atmosphärische Prozesse können Meteorologen inzwischen sehr gut modellieren, weil sie aus der Wettervorhersage der letzten 50 Jahre viel gelernt haben. Die Ozeanmodelle sind dagegen erst etwa 20 Jahre alt und hinken den atmosphärischen Modellen hinterher. Ein Problem dabei ist die Auflösung. Im Ozean sind alle Phänomene eine Größenordnung kleiner als in der Atmosphäre.
Was heißt das? Ein Tiefdruckgebiet hat einen Durchmesser von rund 1000 Kilometern, ein vergleichbarer Wirbel im Ozean misst nur 100 Kilometer. Man braucht für den Ozean also mehr Computerpower und ein besseres Beobachtungssystem. An Land haben wir etwa 2000 Wetterstationen – und die meisten seit über 100 Jahren. Im Ozean gab es dagegen lange Zeit fast nichts. Erst seit Kurzem existieren dort Messstationen, sogenannte Drifter. Sie tauchen etwa 1000 Meter ab, driften 10 Tage, messen beim Auftauchen Temperatur und andere Parameter und funken die Daten von der Oberfläche über Satelliten an Land. Inzwischen haben wir über 3000 Drifter. Die vielen aus dem Meer gewonnenen Daten bieten uns die Chance, die Physik der Ozeane in wenigen Jahren ähnlich gut zu verstehen wie die Atmosphärenphysik.
Welche Rolle spielen Satellitenbeobachtungen? Das Profil der arktischen und antarktischen Eisoberfläche kennen wir durch die bisherigen Satellitenmessungen. Doch für die wichtigen Vorgänge an den Eisrändern sind die bisherigen Satellitendaten zu ungenau. Deshalb wurde von den Europäern Cryosat entwickelt, der im Oktober 2005 im All platziert werden sollte. Doch die Trägerrakete kam nicht auf Kurs, und der Satellit ging verloren. Cryosat 2 soll nun 2009 in den Weltraum geschossen werden. Wenn alles klappt, werden wir dann endlich ein Messsystem haben, das die Veränderungen der Massenbilanz der großen Eisschilde und des Meereises registriert.
Wie bewerten Sie das Abbrechen von Tausenden Quadratkilometern Schelfeis entlang der Antarktischen Halbinsel, wie es in den vergangenen Jahren immer wieder beobachtet wurde? Das Abbrechen von großen Eisbergen entlang der Antarktis ist normal – auch dass mal ein Rieseneisberg von 50 mal 30 Kilometer Größe abbricht. Doch dass ein ganzes Schelfeisgebiet großflächig in tausend Stücke zerfällt, ist außergewöhnlich. Es hat ganz offensichtlich damit zu tun, dass die Oberflächentemperatur auf der Halbinsel immer wärmer wird. Für die Zerstörung der Schelfeisränder Larsen A und B war das die Ursache.
Wenn sich dann auch noch die Ozeane deutlich erwärmen, wird sich die Konsistenz der eisförmigen Methanhydrate am Boden der Ozeane verändern. Ein beschleunigter Übergang in die Gasphase könnte den Treibhauseffekt und damit die Erderwärmung beschleunigen.Wenn große Teile des am Kontinentalschelf abgelagerten Methan-Eises schmelzen, hätte das dramatische Folgen. Methan absorbiert die Wärmestrahlung 20-mal stärker als CO2. Eine zusätzliche Gefahr bergen die Permafrostböden. Denn auch dort sind gewaltige Mengen Methan-Eis eingelagert. Das ist in der Tat eine Zeitbombe.
Das Gespräch führte Wolfgang Hess für bild der wissenschaft 7/2008
bildnachweise
Peter Lemke: Alfred-Wegener-Institut
Forschungsschiff Polarstern: Alfred-Wagener-Institut