Wohlstand 2020! Wie Deutschland seinen Technologievorsprung behaupten kann
Profil des Wissenschaftlers
Thomas Bauernhansl, geb. 1969 in Miltenberg, ist Professor für Produktionstechnik und Fabrikbetrieb. Er ist seit September 2011 Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.
Nach seinem Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen war Thomas Bauernhansl von 1998 – 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktionssystematik des Laboratoriums für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre (WZL) der RWTH Aachen. Von 1999 – 2001 leitete Bauernhansl die Gruppe „Prozess- und Technologieplanung“ und von 2001 – 2003 die Abteilungen „Integrierte Produktgestaltung“ sowie ab 2002 „Unternehmensentwicklung“. Im Juni 2002 promovierte er zum Dr.-Ing. mit dem Thema „Bewertung von Synergiepotenzialen im Maschinenbau“ bei Prof. Walter Eversheim. Zwischen April 2003 – Juni 2003 arbeitete er bei Freudenberg & Co. als Assistent der Unternehmensleitung. Von Juli 2003 – Oktober 2003 war er bei der Freudenberg Anlagen- und Werkzeugtechnik GmbH Geschäftsführer für den Werkzeugbau, danach bis September 2007 Sprecher der Geschäftsführung. Von Oktober 2007 – bis Ende 2010 leitete er das Technology Center der Freudenberg Dichtungs- und Schwingungstechnik GmbH & Co. KG. Von Januar 2011 – August 2011 war er Leiter Global Process Technology bei Freudenberg Sealing Technologies. Seit September 2011 ist Professor Thomas Bauernhansl Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Er ist Mitglied der Gesellschaft für Fertigungstechnik in Stuttgart.
Pressebericht
Den Pressebericht im Lauffener Bote finden Sie hier
Die Folien seines Vortrags stellt Prof. Bauernhansl Interessierten hier zur Verfügung:
bild der wissenschaft interviewt...
Die Weltwirtschaft schaut nach Deutschland
Wer hätte das noch vor ein paar Jahren gedacht: Ausgerechnet die Industrie
verschafft Deutschland international Aufwind. Der Stuttgarter Maschinenbau-Professor
Thomas Bauernhansl nennt die Gründe.
Das Gespräch führten Ralf Butscher und Wolfgang Hess
bild der wissenschaft: Auf was führen Sie die jüngsten guten Jahre im deutschen Maschinenbau zurück, Herr Professor Bauernhansl?
Thomas Bauernhansl: Diese Branche kennt schon lange ein Auf und Ab. Die globale Krise 2008/09 war allerdings besonders heftig, weil nicht nur Aufträge ausblieben, sondern viele auch storniert wurden. Damals gingen Insider davon aus, dass es sehr lange dauern würde, bis sich die Branche erholt. Doch inzwischen haben viele Betriebe die sehr guten Ergebnisse von 2007 wieder erreicht oder sind sogar noch besser geworden. Die Stärke des deutschen Maschinenbaus liegt in seiner mittelständischen Struktur. Sie führt dazu, dass die Unternehmen verantwortungsbewusst und sozial engagiert geführt werden, gleichzeitig aber sehr flexibel auf aktuelle Markteinflüsse reagieren können. Zusammen mit der Vernetzung mit anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen wie Universitäten oder Fraunhofer-Instituten führt das zu einer systemischen Produktivität, wie ich es nenne. Konkret heißt das, dass innerhalb des lokalen Netzwerks sehr schnell für alle weltweiten Herausforderungen Lösungen gefunden werden können.
Was heißt das für die Mitarbeiter?
Während Aktienunternehmen in schlechten Zeiten Mitarbeiter abbauen, versuchen Mittelständler sie für die Zeit des erhofften Wiederaufschwungs an Bord zu halten. Im internationalen Vergleich haben die deutschen Mittelständler während der Krise ihr Profil geschärft und sich neu aufgestellt. Um es einmal bildhaft auszudrücken: Der Wagen war vollgetankt, der Zündschlüssel steckte und man konnte sofort losfahren, als es wieder aufwärts ging, während die Maschinenbauer in anderen Ländern erst einmal zur Tankstelle gefahren werden mussten.
Welche Rolle beim Maschinenbau spielen Frankreich, Großbritannien und die USA?
Eher eine kleine. Im Radius von 50 Kilometern um Stuttgart werden mehr Werkzeugmaschinen hergestellt als in den USA. In Frankreich konnten sich nur wenige Unternehmen halten. Britische Maschinenbauer kenne ich schon gar keine mehr.
Die hohe Zahl an Industriebeschäftigten in Deutschland entpuppt sich also als internationaler Standortvorteil ?
Lange Zeit sagten uns Volkswirtschaftler, dass die industrielle Produktion in einer fortgeschrittenen Volkswirtschaft den gleichen Weg geht wie die Agrarproduktion: dass ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt und bei Beschäftigten im einstelligen Bereich landet und die eigentliche Wertschöpfung in der Produktion keine große Rolle mehr spielt. Doch es kam anders. In Deutschland hat sich der Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt seit 1990 kaum reduziert. Er liegt bei 26 Prozent – in Baden-Württemberg sogar bei über 35 Prozent. Auf ähnliche Anteile kommt die Zahl der Arbeitsplätze. Wenn man dann noch den Service-Bereich betrachtet, der unmittelbar an der industriellen Produktion angedockt ist, kommt man auf fast die doppelte Zahl von Arbeitsplätzen.
Das heißt, die Volkswirtschaftler haben sich geirrt?
Ja – und einige haben den Irrtum eingesehen: Manche Volkswirtschaftler führen inzwischen sogar Gründe an, warum ein starkes industrielles Rückgrat wichtig ist. Erstens leistet die Industrie einen hohen Innovationsbeitrag. Vom gesamten ‧Investitionsvolumen für Innovationen stammen mehr als 80 Prozent aus der Industrie. Der zweite wichtige Punkt ist der Produktivitätsbeitrag der Industrie. Wenn Volkswirtschaften wachsen, ist das in erster Linie auf Produktivitätsfortschritte zurückzuführen. Der Produktivitätsgewinn in der Industrie ist mehr als doppelt so groß wie im Dienstleistungsbereich. Und drittens sind es die Exporte von Industriegütern, die Volkswirtschaften wachsen lassen. Dienstleistungen sind weit weniger exportierbar. Doch eine hohe Exportquote führt zu einer ausgeglichenen Handelsbilanz oder sogar zu einem Handelsüberschuss. Wenn das fehlt, muss sich eine Volkswirtschaft Geld leihen, um das Defizit auszugleichen – siehe USA, siehe Großbritannien.
Ist die Industrie für Deutschland der Stein der Weisen?
Nicht nur für Deutschland. Andere Länder erkennen die Zusammenhänge inzwischen auch und streben einen höheren Industrieanteil an. Frankreich hat nur noch einen Anteil von 12,5 Prozent, Großbritannien und USA liegen bei 15 bis 16 Prozent, die EU insgesamt bei 19 Prozent. US-Präsident Obama hat ein Programm zur Reindustrialisierung aufgelegt, das mehr als eine Milliarde Dollar in die Etablierung von anwendungsnahen Forschungsinstituten steckt, mit positiven Folgen für den Wiederaufbau einer Industriekultur. Und man hofft in den USA sehr, dass die niedrigen Energiepreise, die durch das enorme Förderpotenzial von Schiefergas und -öl möglich sind, energieintensive Industriebetriebe anziehen.
Welche Probleme kommen auf den Industriestandort Deutschland dennoch zu?
Einmal wird uns die demografische Entwicklung immer mehr zu schaffen machen. Der zunehmende Fachkräftemangel ist unser größtes Wachstumsrisiko. Unser zweites großes Problem ist die Akzeptanz der Industrieproduktion. Für viele ist Industrie immer noch gleichbedeutend mit manueller Arbeit, ölverschmierten Kitteln und Umweltverschmutzung. De facto ist die Industrie aber aufgeräumt, sauber, emissionsarm.
Wie wollen Sie die Akzeptanz verbessern?
Wir brauchen eine Willkommenskultur für Arbeitssuchende aus anderen Ländern – aus Europa und Asien. Wir müssen die öffentliche Einstellung gegenüber der Industrie verändern. Wir müssen Technik und Produkttechnologien schon früh in der Schule erklären. Das findet bei uns überhaupt nicht statt. Im Gegenteil: Lehrer sind eher technologiekritisch eingestellt. Wir müssen auch solche Schüler für den Ingenieurberuf begeistern, die heute gar nicht daran denken – Mädchen beispielsweise. Die Frauenquote in meiner Stuttgarter Anfängervorlesung in Maschinenbau liegt aktuell immer noch bei nur acht Prozent! Und schließlich müssen wir dafür sorgen, dass uns bei der Ausbildung weniger Studenten verloren gehen: Die Abbrecherquote im Maschinenbau liegt an manchen Universitäten bei über 40 Prozent.
Sie selbst forschen an einer abfallfreien ressourcenschonenden Produktion. Was ist das Neue daran?
Wir werden bald neun Milliarden Menschen auf der Welt haben. Bis 2025 wird sich die Zahl derer nahezu verdoppeln, die konsumieren, die also über der Armutsschwelle leben. Das wird sich vor allem in China und Indien, aber auch in Indonesien und Vietnam abspielen. Positiv für unsere Industrie gesprochen heißt das: Wir haben langfristig kein Nachfrageproblem. Doch wo sollen die Ressourcen für diese Bedürfnisse herkommen? Bei der Diskussion über die Green Economy gibt es zwei Fraktionen. Die eine sagt: Wir müssen uns einschränken. Die andere, die eher ingenieurgeprägt ist – und der auch ich angehöre –, sagt: Wir schaffen das anspruchsvolle Vorhaben nur mit neuer Technologie. Ich persönlich halte Verzicht für kein volkswirtschaftlich tragfähiges und global akzeptiertes Modell. Wir müssen es also schaffen, Ressourcenverbrauch von Wachstum zu entkoppeln. Das ist die Kernfrage, mit der wir uns gerade in Deutschland auseinandersetzen. Um das
zu erreichen, brauchen wir nicht nur eine Energiewende, sondern auch eine Materialwende, eine Kapitalwende und eine Personalwende.
Was heißt das im Klartext?
Unter Kapitalwende verstehe ich einen innovativen Blickwinkel auf das, wie Banken finanzieren und rechnen. Wer über die Kosten von Produkten spricht, muss künftig auch solche Kosten in seine Rechnung einbeziehen, die den Verbrauch und die Verschmutzung der Umwelt betreffen. Unter Personalwende verstehe ich im engeren Sinn neue Arbeitsmodelle, die dem demografischen Wandel Rechnung tragen. Im weiteren Sinn meine ich völlig neue Strukturen: Das klassische Hierarchieverständnis wird obsolet. Hier brauchen wir völlig neue Ansätze und ein anderes Bewusstsein für Management. Summa summarum ist ein Wandel aller Produktionsfaktoren nötig.
Wie sehen die Schritte aus, um künftig möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen?
Wir müssen uns langfristig völlig von fossilen Energieträgern trennen. Um das zu erreichen, brauchen wir als Brückentechnologie den fossilen Energieträger Gas, aber keine Kohle. Beim Material müssen wir zu neuen Recyclingmodellen kommen. Derzeit liegt die Recyclingquote, die aus dem Ausgangsmaterial ein hochwertiges Produkt erzeugt, noch im einstelligen Bereich. Das heutige Recycling ist weitgehend ein Downcycling: Wir machen aus hochwertigen Kunststoffen minderwertige Waren in Bezug auf die Wertschöpfung. Das Fraunhofer IPA bewertet und optimiert in einer eigenen Abteilung die Produkte seiner Kunden sowie die Prozesse und eingesetzten Technologien nach Wirtschaftlichkeit und bietet Unterstützung bei der Einhaltung ökologischer und technischer Anforderungen.
Können Sie Beispiele nennen?
Ein Einstieg in grüne Produktionstechnik für Batterieelektroden ist die am Fraunhofer IPA entwickelte patentierte lösemittelfreie TransApp-Pulverbeschichtungstechnik. Wir gehen aber auch auf Goldsuche – mit dem elektrochemischen Recycling. In einer Tonne Handyschrott sind etwa 300 Gramm Gold enthalten, gegenüber nur 5 Gramm in einer Tonne Golderz. Wir schauen, wie wir das am effektivsten aus dem Handyschrott recyceln können. Auch die Lackiertechnik hat enormes Potenzial. Lackverlustfreie Beschichtungsverfahren sind die Voraussetzung für die Minimierung des Energie- und Materialeinsatzes bei der Spritzlackierung.
Führende Köpfe des Wuppertal-Instituts wie Ernst Ulrich von Weizsäcker und Friedrich Schmidt-Bleek haben bereits vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass wir mit weniger Materialverbrauch deutlich mehr Produkte erzeugen können – und zwar mit dem Faktor 4 oder sogar Faktor 10. Diese Wissenschaftler hatten also recht?
Auf jeden Fall. Wir haben zum Beispiel bei meinem früheren Arbeitgeber Freudenberg eine inzwischen vielfach prämierte Maschine entwickelt, die Metallrahmen für Dichtringe ohne Materialverlust herstellt, weil sie das genau gleiche geometrische Produkt durch eine völlig andere Herangehensweise ermöglicht. Ein konventionell hergestellter Dichtring erzeugt dagegen 80 Prozent Abfall. Solche Ansätze, Material einzusparen, stehen zwar noch am Anfang. Doch sie sind in den Köpfen der Ingenieure angekommen. Gerade bei mittelständischen Unternehmen entstehen derzeit viele Entwicklungen, die auf materialsparende Technologiesprünge setzen. Wer heute eine Maschine kauft, achtet darauf, dass sie in hohem Maß energie- und materialeffizient ist.
Man kann aber davon ausgehen, dass eine neukonstruierte rohstoffeffizientere Maschine in der Beschaffung deutlich teurer ist. Damit ist sie weniger attraktiv im Wettbewerb mit preislich günstigeren Angeboten.
Die Mehrkosten bei der Beschaffung halten sich in Grenzen. Die Weltwirtschaft schaut nach Deutschland – wegen der Energiewende und weil wir unsere Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit umbauen wollen. Zusammen mit den nordeuropäischen Ländern sind wir hier führend in der Welt. Wenn Deutschland als wirklich große Volkswirtschaft diese Wende hinbekommt, wird das ein Vorbild sein für andere große Volkswirtschaften. Und es gibt bei uns einen gesellschaftlichen Bedarf für eine Wende. So zeigen Analysen, dass heute nur 34 Prozent der 18- bis 29-Jährigen ein eigenes Auto haben. Vor zehn Jahren waren es noch mehr als 50 Prozent. Selbst Söhne von Vätern, die in leitender Position in der Automobilindustrie sind, geben ihr Auto ab. Der materielle Besitz rückt bei uns in den Hintergrund, es geht nur noch um die Mobilität.
Schrumpft nicht die Industrieproduktion, wenn die Dienstleistung Mobilität statt des Produkts Auto nachgefragt wird?
Die Automobilindustrie hat kein Nachfrageproblem. Bis alle Menschen die erwünschte Mobilität haben, vergehen Jahrzehnte. Bis dahin werden wir noch viele Autos produzieren. Natürlich nicht nur – vielleicht sogar immer weniger – in Deutschland.
Sie haben nach erfolgreichen Jahren in der Industrie wieder in die Wissenschaft gewechselt. Warum?
Ich habe in der Industrie viel gesehen und eine sehr gute Zeit gehabt bei der Firma Freudenberg. Das Unternehmen ist auf langfristige Ziele angelegt und an hohen Nachhaltigkeitsstandards orientiert. Doch als das Angebot kam, Institutsleiter am Fraunhofer IPA zu werden, habe ich mich gefragt, was ich in der Industrie noch erreichen will und kann. Ich kam zu dem Schluss, dass ich als Institutsleiter des IPA mit gleichzeitiger Professur an der Universität Stuttgart deutlich mehr bewegen kann und mit 67 Jahren hoffentlich zufriedener auf mein Berufsleben zurückschauen werde. Mir macht der Umgang mit Studenten große Freude. Was der bewirkt, sehe ich an meinem Doktorvater. Er ist jung geblieben, weil er permanent von jungen Leuten umgeben war – ein Privileg, das man eben fast nur als Professor hat.
Thomas Bauernhansl
ist seit 2011 Professor in Stuttgart, wo er derzeit drei Institute leitet: das Institut für Industrielle Fertigung IFF der Universität, das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und seit Oktober 2012 das universitäre Institut für Energieeffizienz in der Produktion EEP. Der in Miltenberg am Main geborene Thomas Bauernhansl (*1969) studierte und promovierte an der RWTH Aachen in Maschinenbau. Von 2003 bis 2011 war er in verschiedenen Positionen bei dem Mischkonzern Freudenberg tätig – zuletzt als Leiter Global Process Technology mit der fachlichen Führung von 50 Produktionsstandorten weltweit.
Bildnachweise
Portrait Prof. Thomas Bauernhansl: Fraunhofer IPA
Prof. Thomas Bauernhansl im Industriekontext: Fraunhofer IPA