Collage von Fotos von Forschungsschiff, Astronaut und Solaranlage

Technik & Umwelt

Windenergie

Windenergie: Ein umweltverträglicher Strom – wie viel Wind braucht das Land?

Profil des Wissenschaftlers

Windenergie Jan WenskeJan Wenske ist seit 2011 stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) sowie Abteilungsleiter für Antriebs- und Systemtechnik in Bremerhaven. Er studierte und promovierte (1999) an der Technischen Universität Clausthal in Maschinenbau mit Schwerpunkt Elektrotechnik. Nach einer kurzen Zeit als wissenschaftlicher Assistent arbeitete Wenske (*1968) elf Jahre in der Industrie in verschiedenen Positionen. Im April 2013 wurde er zum Professor für das Fachgebiet Elektrische Energietechnik mit dem Schwerpunkt Windenergieanlagen an der Universität Bremen berufen.

Pressebericht

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bild der wissenschaft interviewt ...

 „Wir waren etwas zu großspurig“

 

Instituts-Vizechef Jan Wenske bezieht Stellung zu den aktuellen Chancen und Risiken der Windenergie-Nutzung in Deutschland.

 

Das Gespräch führte Wolfgang Hess.

 

bild der wissenschaft: Der durch Wind und Sonne erzeugte Strom macht das Netz störanfällig, heißt es immer wieder. Stimmt das, Herr Professor Wenske?

Jan Wenske: Das sehe ich anders. Es ist doch erstaunlich, wie wenig echte Netzprobleme wir haben. Mit 99,9 Prozent liegt Deutschland in Europa noch immer an der Spitze der Versorgungssicherheit. Wenn Sie vor Fukushima verlangt hätten, acht Atomkraftwerke auf einen Schlag stillzulegen und zugleich über 20 Prozent des aktuellen Strombedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken, wie es zurzeit der Fall ist, hätten die Betreiber behauptet: Dann bricht alles zusammen. Aber nichts ist zusammengebrochen. Ich glaube, dass sich beim Argument „Versorgungssicherheit“ viele auf den ideologischen Standpunkt zurückziehen, den Christian Morgenstern so formulierte: Nicht sein kann, was nicht sein darf.

 

Bereits bei Ihrer 1999 abgeschlossenen Doktorarbeit haben Sie sich mit der Integration von regenerativen Energien ins Stromnetz auseinandergesetzt. Das Thema ist heute ganz aktuell. Wie kamen Sie dazu?

Per Zufall. Für ein Projekt, eine Windenergieanlage zu simulieren, suchte man Mitte der 1990er-Jahre einen Studierenden. Dieses Projekt wurde von einem wissenschaftlichen Assistenten und meinem späteren Mentor Professor Soukounis aus Zypern betreut, der sich deshalb damit beschäftigte, weil seine Heimat ein abgeschlossenes System darstellt und es schon damals sinnvoll erschien, Photovoltaik oder Windenergie ins Stromnetz einzubinden. Ich habe bei diesem Projekt meine Studienarbeit angefertigt und blieb in der Folge bei der Windenergie hängen. Jahre später kam mein damaliger Professor Hans-Peter Beck mit dem Angebot einer Promotion auf mich zu. Schon damals war klar, dass der Netzausbau dem Wandel, der durch innovative Stromerzeuger hervorgerufen wird, stets hinterherläuft. Doch erst durch die Energiewende wurde das Thema hochgehängt. Dabei lässt sich das Problem ausbalancieren.

 

Wodurch?

Wenn die Stromerzeugung der Nachfrage nicht entspricht, kann man das durch moderne Leistungselektronik in Millisekunden nivellieren. Leistungselektronik ist Verstärkertechnik bei hohen Stromstärken und -spannungen. Durch sie wandelt man Wechselstrom in Gleichstrom um – und umgekehrt – oder verändert die Frequenz des Wechselstroms. Dadurch kann das Stromangebot so eingeregelt werden, dass es der Nachfrage entspricht und damit Netzspannung und -frequenz gezielt beeinflusst. Speziell Strom aus Wind- und Sonnenenergie wird heute nahezu ausschließlich über leistungselektronische Geräte – sogenannte Wechselrichter – ins Stromnetz eingespeist und kann, eine intelligente Ansteuerung vorausgesetzt, dezentral zur Stabilisierung des Netzes beitragen.

 

Heißt das, der heftige Streit um die Notwendigkeit eines raschen Netzausbaus ist unnötig?

Die Energiewende kann technisch und wirtschaftlich nur durch Nutzung aller verfügbaren Technologien gelingen. Dazu gehört auch eine Anpassung der bestehenden Übertragungsnetz-Infrastruktur – häufig unter dem Begriff „Netzausbau“ zusammengefasst. Je nach Ausgestaltung und Zubau der Einspeisung aus erneuerbaren Energien können sich ganz unterschiedliche Ausbauszenarien ergeben. Meiner Meinung nach sollte die mittelfristige Modernisierung der Verteil- und Ortsnetze, in welche derzeit die Masse der Erneuerbaren einspeist, eine viel höhere Priorität bekommen. Hier können mit weit weniger Investitionsmitteln Beiträge zur Netzstabilisierung erreicht und somit der technische Rahmen für den weiteren Ausbau der Nutzung von Wind- und Solarenergie geschaffen werden.

 

Was sind für Sie die größten Herausforderungen der Windenergietechnik?

Die gute Nachricht vorweg: Die Stromerzeugungskosten an Land sind mit 5 bis 7 Cent pro Kilowattstunde inzwischen fast so günstig wie bei konventionellen Kraftwerken. Möglichkeiten zur Kostensenkung sehe ich bei der Herstellung. Die meisten Windturbinen entstehen bisher in einer Art Manufaktur. Würden sie in Serie gefertigt, wären sie preisgünstiger. Weitere Potenziale, Kosten zu senken, liegen in einer höheren Anlagenzuverlässigkeit sowie in optimierten Wartungs- und Instandhaltungsstrategien. Das lässt sich erzwingen, indem durch fallende Einspeisevergütungen der Innovationsdruck erhöht wird.

Bei den Anlagen im Meer sind die Herausforderungen allerdings größer: Echte Offshore-Anlagen existieren so gut wie nicht. Bisher werden Turbinen, die für den Onshore-Bereich konzipiert wurden, für den Offshore-Bereich modifiziert. Mangelnde Anlagenzuverlässigkeit schlägt damit drastisch zu ‧Buche: Eine Reparatur per Schiff ist beschwerlich und grundsätzlich teuer. Wenn die See dann noch rau ist, kann die Reparatur mitunter erst nach Tagen oder sogar Wochen stattfinden. Insgesamt betrachtet, tut die Windenergiebranche gut daran, sich stärker in Richtung Standards zu entwickeln. Die einzelnen Komponenten müssen so aufgebaut sein, dass man definierte Schnittstellen hat, um durchgängig zu einer hohen Verfügbarkeit und technischen Reife zu gelangen.

 

Wie meinen Sie das konkret?

Damit meine ich beispielsweise, dass der Generator einer ‧Firma mit dem Getriebe einer anderen arbeiten kann. In der Autobranche gibt es solche Standards längst. Doch bislang will die Windenergiebranche das nicht. Sie definiert sich lieber über das Besondere jedes Herstellers.

 

Wie viele Turbinenhersteller gibt es?

Weltweit sind es etwa 80, die Windturbinen mit mindestens einem Megawatt Leistung bauen. In Deutschland produzieren Areva, Enercon, General Electric, Nordex, Repower und einige kleinere, teils sehr innovative Firmen. Siemens produziert in Dänemark. Zulieferer gibt es dagegen sehr viele. Sie sitzen vor allem in Mittel- und Süddeutschland. Zusammengebaut werden die Anlagen dann in Norddeutschland.

 

Sie sehen im Süden nicht nur Perspektiven für Zulieferer von Windenergieanlagen, sondern auch in großem Maß für die Windenergienutzung selbst?

Wind ist eine fluktuierende Energiequelle – egal, ob er an Land oder im Meer genutzt wird. Je mehr Anlagen man auf einem Gebiet konzentriert, desto stärker ist man von den Windverhältnissen dort abhängig. Die Offshore-Nutzung hat zwar den Vorteil, dass dort der Wind stärker weht und eine Anlage so mehr Energie erntet. Doch strategisch sinnvoll ist eine ausschließliche Platzierung im Meer nicht.

 

Was spricht dagegen?

Die Flaute. Wenn ein Staat ein großes Gebiet hat wie Deutschland, weht irgendwo immer Wind. Deshalb muss der Süden Deutschlands in die strategische Planung einbezogen werden. Und es ist ‧natürlich auch sinnvoll, Strom dort zu produzieren, wo er verbraucht wird. Da der Süden wichtige Industrien hat und damit großen Strombedarf, müssen dort Windenergieanlagen aufgebaut werden.

 

Obwohl der Wind in Süddeutschland deutlich schwächer weht als auf der See?

Deshalb müssen die Anlagen höhere Türme haben. Nabenhöhen bis 160 Meter sind heute machbar und Rotordurchmesser bis 120 Meter. Wenn Sie solche Anlagen bauen, haben Sie auch im Süden 2000 Volllaststunden. Und ab etwa 1400 Volllaststunden rechnet sich eine Anlage.

 

Was muss man tun, damit der Süden bei der Windenergienutzung nachzieht?

In den vergangenen Jahren hatten wir bei der Windenergienutzung deutschlandweit einen Zuwachs von jeweils etwa 3000 Megawatt. Es sieht so aus, als ob sich diese Entwicklung fortsetzt. Das heißt: Der Süden muss seinen Anteil daran steigern. Doch gegenwärtig schlägt uns der Wind im Süden ins Gesicht – und das in zweifacher Weise. Einmal stoßen Anlagen dieser Größe auf Akzeptanzschwierigkeiten. Und dann haben wir noch das Problem, dass sich die großen Energieversorger auf die wirtschaftlich lukrativsten Standorte konzentrieren, die im Norden liegen. Die Trendwende schaffen wir nur mit Bürgerinitiativen, Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften, die sich für die Nutzung im Süden engagieren. Um eine flächenmäßig ausgeglichene Windenergienutzung zu erreichen, müssten meiner Meinung nach auch die Fördersätze regional gestaffelt werden.

 

Das umzusetzen kostet viel Zeit. Geht die Energiewende zu zäh über die Bühne?

Das jetzige Tempo bei der Windenergie ist in Ordnung. Die derzeitigen knapp 3000 Megawatt jedes Jahr mehr halte ich auch in Bezug auf den Netzausbau für integrierbar. Kritisch blicke ich auf den Markt der Photovoltaik. Er ist überhitzt. Allein 2012 wurden 7600 Megawatt zugebaut. Die aktuellen Schwierigkeiten bei der Offshore-Windenergienutzung haben wir, weil wir meiner Meinung nach etwas zu großspurig vorgegangen sind und uns nicht wie die Dänen und Briten langsam in die See vorgewagt haben. Wir haben auf 5-Megawatt-Anlagen gesetzt, die 100 Kilometer von der Küste entfernt aufgestellt und mit Gleichstrom angebunden werden: Herausforderungen, wie man sie sich nicht größer vorstellen kann.

 

Gibt es noch andere Probleme?

Hinzu kommt die Gemengelage, dass bei den deutschen Anlagen der Netzbetreiber nicht der Anlagenbetreiber ist – mit dem Ergebnis, dass manchmal ein Windpark fertig ist,

der Netzanschluss aber nicht. Überdies erschweren Kompetenzstreitigkeiten das Vorankommen. Mich würde es nicht wundern, wenn sich inzwischen mehr Juristen als Techniker mit den Offshore-Projekten beschäftigen.

 

Sie gehen davon aus, dass sich diese Situation klärt?

Die Förderung in Deutschland ist effizienter als in anderen Ländern. Doch die Politiker müssen die Sache endlich in die Hand und den Lobbyisten aus der Hand nehmen. Die Lobby behauptet, dass die Energiewende scheitert, wenn der Offshore-Ausbau nicht zügig unterstützt wird. Für die Lobby ist Energiewende gleichbedeutend mit Offshore. Doch das stimmt nicht. Offshore ist nur ein Baustein der Energiewende. Wir haben hervorragende Forschungsinstitutionen in Deutschland, die sich mit der künftigen Energieversorgung beschäftigen, überall im ganzen Land. Für eine so gigantische Aufgabe wie die der Energiewende in Deutschland lohnt sich aber ein nationales Forschungsinstitut, das sich nur mit diesem Thema befasst. Das Geld für die einzelnen Projekte ist da und wird ausgegeben – in zig Forschungsinstituten. Die Chance ist: Wenn uns in Deutschland die Energiewende gelingt, setzen wir damit Maßstäbe für Europa und den Rest der Welt. Wenn uns die Wende gelingt, dann gelingt sie auch anderswo.

 

Sie sind ab 2014 Chef eines großen Gondelprüfstandes an Ihrem Institut. Warum braucht man das – und warum erst jetzt?

Große Industrien haben großes Interesse daran, Produkte zu testen, ehe sie auf den Markt kommen. Deshalb investieren Automobilindustrie, Luftfahrtindustrie und die Bahn riesige Summen in Tests und Testsysteme. Die Hersteller von Windenergieanlagen waren bisher eher zurückhaltend, was solche Systeme angeht, und der Überzeugung , wenn die Anlage funktioniert, sei alles okay. Doch die Größe der heutigen Anlagen und das knifflige Anlagenmanagement im Offshore-Bereich erfordern Tests. An unserem Teststand mit dem Kürzel DyNaLab (Dynamic Nacelle Testing Laboratory), der eine Antriebsleistung von mehr als 10 Megawatt bietet, können beispielsweise Softwarepakete, Antriebskomponenten oder Sicherheitseinrichtungen geprüft werden, ehe sie auf die Anlage gehen und entwicklungsbegleitende Tests durchgeführt werden können. Das Risiko, ein Teil in eine Offshore-Anlage einzubauen, das nicht funktioniert, ist schon allein aus Haftungsgründen in-zwischen viel zu groß. Zudem wächst der Druck von Seiten der Anlagenbetreiber und Investoren auf die Hersteller beständig.

 

Die riesigen Rotorblätter sind beeindruckend. Auch sie werden in Ihrem Fraunhofer-Institut geprüft.

Soeben haben wir in unserer Halle das längste Rotorblatt der Welt getestet – 83,5 Meter lang, aus Kunststoff, mit einer Blattwurzelgröße, in die ein ganzer Bus passt! Generell gilt: Der Rotor ist der Motor – also das entscheidende Bauelement. Alles was Sie dort an Energie verschenken, ist weg. Gleichzeitig ist der Rotor der entscheidende Belastungsfaktor für den Rest der Anlage. Das bedeutet: Wer bei der Rotorkonfiguration besser ist als die Konkurrenz, hat einen wichtigen Wettbewerbsvorteil. Deshalb ist unsere Testanlage gut gebucht – und meist geschlossen für neugierige Besucher.

 

Welche Chancen geben Sie der deutschen Windbranche? Wird es ihr wie der Photovoltaikbranche ergehen, in der ein Unternehmen nach dem anderen dicht macht, weil in China günstiger produziert wird?

Wir waren 2012 in China und Südkorea und haben registriert, dass die Chinesen genug Kapazität zur Anlagenfertigung besitzen, um schon heute den ganzen Weltmarkt zu bedienen. Allein der chinesische Branchenprimus „Goldwind“ kann im Jahr fast 5000 Anlagen bauen. Der Turbinenpreis lag dort 2012 bei 300 000 Euro pro Megawatt, in Deutschland bei knapp einer Million Euro. Glücklicherweise ist China noch ein weitgehend geschlossener Markt und produziert fast nur für den Binnenbedarf, ein bisschen auch für Nord- und Südamerika. Aufgrund von vermeintlichen Qualitätsdefiziten und mangelnden Betriebserfahrungen kommen die chinesischen Hersteller in Europa bislang nicht an. Allerdings: Neben den Staatsbetrieben gibt es privatwirtschaftliche Unternehmen – mit sehr guten Produkten –, teilweise mit lizensierter europäischer Technik. Dazu kommt, dass die chinesischen Hersteller oft mit einer Bankengarantie arbeiten: Wenn eine Anlage ausfällt, kommt eine chinesische Bank für den Produktionsausfall auf. In Deutschland leistet sich einen solchen Service nur die Firma Enercon. Wir werden uns also wappnen müssen.  

 

Bildnachweis

Portrait Jan Wenske: Paul Langrock

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