Versemmeln wir die Energiewende
Profil des Wissenschaftlers
Eicke R. Weber ist seit 2006 Direktor des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE (1200 Mitarbeiter, Etat 2015: rund 80 Millionen Euro) und Lehrstuhlinhaber für Angewandte Physik/Solarenergie an der Universität Freiburg. Nach seiner Promotion in Köln forschte er an der State University of New York, an der schwedischen Universität Lund und von 1983 bis 2006 am Department of Materials Science in Berkeley, USA. Er ist Ehrenmitglied des Ioffe-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften. 2014 überreichte ihm der Kronprinz der Vereinigten Arabischen Emirate den mit 1,5 Millionen Dollar dotierten Zayed Future Energy Prize für sein Institut. Mitte des Jahres scheidet Weber (*1949) bei Fraunhofer aus.
Pressebericht
Den Bericht im Lauffener Boten finden Sie hier.
bdw interviewt...
Das Stromnetz ist stabiler als vor zehn Jahren
Streitbar wie immer urteilt Eicke Weber, der scheidende Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, über die Perspektiven des Solarstroms, die deutsche Energiewende und die Rolle der Stromkonzerne.
Das Gespräch führte Wolfgang Hess.
Die Photovoltaik hat sich in den vergangenen Jahren weltweit hervorragend entwickelt. Welchen Anteil hat Ihr Institut daran, Herr Prof. Weber?
Wir sind nicht die einzige wichtige deutsche Forschungsinstitution in diesem Bereich. Allerdings stehen wir hinsichtlich der Größe und bei der wissenschaftlichen Ausrichtung auf die kristalline Siliziumtechnologie weit vorne. Wir haben wesentlich dazu beigetragen, dass diese Technologie in den deutschen Ausrüsterfirmen und auch bei der Solarindustrie etabliert werden konnte. Und wir leisteten wichtige Beträge zur Verbesserung der Effizienz bei verringerten Produktionskosten. Ein Grund dafür ist sicher auch der Druck, ein Drittel unseres Institutsbudgets aus Industrieaufträgen finanzieren zu müssen. Das motiviert unsere Mitarbeiter, auf die Wünsche der Industrie einzugehen und mit ihr zusammenzuarbeiten. Der größte Erfolg für unsere Technologie war, dass die gigantische chinesische Photovoltaik-Industrie vor allem mithilfe des deutschen Anlagenbaus errichtet wurde.
Gegenwärtig basieren 92 Prozent der Solarzellen auf Silizium. Die lange Zeit hochgelobten Dünnschichtsolarzellen haben Anteile verloren. Hat Sie das überrascht?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass der Siegeszug der Siliziumtechnologien kaum aufzuhalten ist, und ich kenne keine Entwicklung, die das aushebeln könnte. Mein privates Geld würde ich stets in Silizium-Photovoltaik investieren. An Silizium ist auch dann kein Mangel, wenn wir bis 2050 weltweit Solarzellen mit einer Leistung zwischen 6000 und 30 000 Gigawatt produziert haben. Hinzu kommt, dass sich Mikroelektronik und Photovoltaik durch die gemeinsame Basis der Siliziumtechnologien gegenseitig befruchten.
Die am ISE entwickelte Kerfless-Wafer-Technologie soll der deutschen Solarzellenbranche neuen Auftrieb geben. Wodurch?
Es handelt sich um ein völlig neues Verfahren, bei dem die Kristallstrukturen des Siliziums durch ein raffiniertes Beschichtungsverfahren auf porösem Silizium hochwachsen. Die Scheiben können für viele Schichten wieder und wieder verwendet werden. Kerfless bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das konventionelle Herstellen und Sägen der Blöcke in der Waferfertigung für Siliziumsolarzellen direkt ersetzt werden kann. Dabei werden der Materialverlust um 50 Prozent und die erforderliche Energie um 80 Prozent reduziert. Als ich vor etwa zehn Jahren über die Zukunft von Silizium-Wafern referierte, wurde ich von der Fraunhofer-Zentrale ermuntert, uns um ein 10-Millionen-Euro-Projekt zu bewerben, das sich aus Erlösen aus den Fraunhofer-MP3-Lizenzen finanziert. Bedingung war zu zeigen, wie sich eine marktfähige Industrieproduktion neu entwickeln ließe. Stefan Reber war von Anfang an Projektleiter. Heute ist er Geschäftsführer unserer Ausgründung NexWafe. Rebers Team hat eine höchst innovative Beschichtungs-Maschine – im Jargon: Hochdurchsatz-Dünnschichtepitaxie – zur Industriereife gebracht, durch die sich Siliziumscheiben und damit auch Solarzellen deutlich günstiger als bisher herstellen lassen.
Vom Solarboom ist in Deutschland nicht mehr viel zu spüren. 2012 wurden 8,3 Gigawatt an Leistung zugebaut, 2015 waren es nur noch 1,2 Gigawatt. Ist an all dem die Modifikation des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) schuld?
2009 hat die Politik die Weichen neu gestellt. Zuvor hat jeder Stromkunde für die EEG-Umlage etwa einen Cent pro Kilowattstunde bezahlen müssen. Aus diesem einen Cent wurden jährlich 10 Milliarden Euro an EEG-Umlage ausgeschüttet. Heute werden 22 Milliarden ausgeschüttet – etwa doppelt so viel. Aber die Umlage ist um 500 Prozent gestiegen – auf 6 Cent. Nicht deshalb, weil der Zubau der Photovoltaik so stark gewachsen wäre, sondern weil alle Industriezweige mit hohem Strombedarf von der Umlage befreit wurden. Überdies wurde die Umlage durch eine veränderte Berechnung auf der Basis des Börsenstrompreises in die Höhe getrieben. Die meisten Politiker haben das sicher nicht gewollt. Doch sie haben nicht durchschaut, dass interessierte industrielle Kreise diese Entwicklung geschickt in die Wege geleitet haben. Traurig ist, dass wir nicht nur die Einspeisetarife für EEG-Strom gesenkt haben, was Sinn machte, sondern dass jetzt bei Anlagen ab 10 KW noch Strafzoll für den selbst erzeugten Solarstrom bezahlt werden muss. Heute 2 Cent pro Kilowattstunde, ein Viertel der Kosten von Solarstrom – wer garantiert, dass daraus in einigen Jahren nicht 4 Cent werden? Die Verunsicherung der Investoren könnte kaum größer sein.
Ein Argument gegen eine von regenerativen Energiequellen dominierte Stromversorgung ist die Netzunsicherheit, weil Wind oder Sonne im Angebot schwanken.
In Deutschland stammen bereits 32 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Obwohl Sonne und Wind in ihrer Leistung stark schwanken, ist die Stabilität des Stromnetzes besser geworden. Wir haben das Netz jetzt so optimiert, dass es mit sekundenkurzen Schwankungen umgehen kann. Im alten Netz hatten wir es mit großen Kraftwerksblöcken zu tun, die rund um die Uhr Strom produzierten. Wenn es zu einer Störung kam, herrschte zunächst einmal große Aufregung, was zu tun sei. Aufgrund der schwankenden Energieerzeugung durch Regenerative ist die Netzsicherheit heute weit intelligenter organisiert und ist damit stabiler als noch vor zehn Jahren.
Was lernen wir aus dem Desaster der deutschen Photovoltaik-Industrie?
Bisher haben die Chinesen Firmen mit einer Produktionskapazität von insgesamt 60 Gigawatt aufgebaut. Heute erreicht der Markt mit etwa 50 Gigawatt jährlich verkaufter Photovoltaik die in China bestehenden Produktionskapazitäten. Bis zum Jahr 2020 dürfte sich der Weltmarkt auf über 100 Gigawatt verdoppeln. In den kommenden Jahren werden wir also rund 50 Gigawatt weitere Produktionskapazität brauchen. Darin liegt unsere Chance. Einmal für die Ausrüsterindustrie, aber natürlich auch im Aufbau neuer kostengünstiger Produktionskapazitäten im eigenen Land durch unsere neu entwickelten Technologien – Kerfless-Wafer und andere. Wenn wir etwas lernen können, dann dies: Nicht auf halbem Weg den Atem verlieren! Wenn wir in Deutschland durch das EEG mehrere Hundert Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Umlage 20 Jahre lang zu bezahlen, darf man unterwegs nicht die Pferde absatteln. Unser großer Fehler ist seit Jahren: Wir ‧machen in Deutschland keine Industriepolitik. Unsere Konkurrenz – die autoritär geführten asiatischen Länder – macht das dagegen konsequent: bei Solarzellen, bei Leuchtdioden, bei Flachbildschirmen. Es war nicht die deutsche, sondern die chinesische Regierung, die gesagt hat: Photovoltaik ist für die Zukunft des Landes von strategischer Bedeutung!
Kommen wir zur Energiewende in Deutschland und zu dem, was private Haushalte tun müssen. Sie verbrauchen für die Wärme-erzeugung mehr Primärenergie als für den Strom. Wie kann man das ändern?
In aller Munde ist die Wärmedämmung. Doch sie ist bei Altbauten eine mühsame und oft auch wenig ästhetische Strategie. Die Technologie der Wärmepumpen ist dagegen noch viel zu selten eine Option. Wärmepumpen lohnen sich für Wohnungen und Häuser, in denen der Wärmeenergiebedarf pro Quadratmeter und Jahr bei 100 Kilowattstunden oder weniger liegt. Mittels Wärmepumpen kann man durch eine Kilowattstunde Strom zwei bis fünf Kilowattstunden Wärme erzeugen, die man der oberen Erdschicht entzieht. Das heißt: Auch hier kommt uns die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien zugute. An unserem Institut haben wir ein Modell entwickelt, wie wir die deutsche Volkswirtschaft bedarfsgerecht über das ganze Jahr mit erneuerbaren Energien versorgen können. Das Ergebnis: 80 Prozent Erneuerbare bei der Stromproduktion und 60 Prozent Erneuerbare bei der Gesamtenergie lassen sich ab 2040, 2050 zu den gleichen Kosten produzieren, wie wir sie heute haben. Heute kostet uns die Energieversorgung pro Jahr etwa 250 Milliarden Euro.
Und was kostet uns die Umstellung?
Rund 1100 Milliarden Euro. Wenn der CO2-Ausstoß endlich stärker bepreist wird, könnte sich das neue System sogar schon früher rechnen. Und wenn der Preis von fossilen Rohstoffen durch die gigantische Nachfrage der Welt wächst – was anzunehmen ist –, ergibt sich nochmals ein Kostenvorteil. Und noch ein weiterer Aspekt spricht für die Umstellung: Ein Großteil der ‧heutigen Kosten entsteht, weil wir fossile Rohstoffe importieren. Wenn wir stärker auf erneuerbare Energien setzen, kommen die Ausgaben in erster Linie Unternehmen zugute, die die Wertschöpfung im eigenen Land erzielen.
Knapp ein Drittel des Stroms wird in Deutschland regenerativ erzeugt. Doch wer sich unseren gesamten Primärenergieverbrauch vor Augen führt, sieht etwas völlig anderes. Dort stammen noch 89 Prozent aus nichtregenerativen Energiequellen. Zur Umsetzung der Energiewende ist es noch ein weiter Weg …
Wir werden das schaffen. Als wir 2000 das EEG einführten, wurde vor allem darüber diskutiert, ob man die Kernenergie abschalten sollte oder nicht. Um das EEG kümmerten sich die Interessenvertreter so gut wie nicht – weil fast jeder dachte: Vielleicht hat das in 30 Jahren einmal Folgen. Doch dann nahm das Thema Fahrt auf. Und plötzlich fühlten sich die großen Energieversorger unterlaufen und machten mobil. In den Medien lesen Sie vorzugsweise negative Stellungnahmen. Dabei ist die Bevölkerung zu 80 Prozent für die Energiewende. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren im Hinblick auf die Energiewende an Dynamik zulegen werden. Kalifornien ist uns übrigens schon voraus. Der US-Bundesstaat – mit einer Volkswirtschaft halb so groß wie Deutschland und mit etwa der Hälfte unserer Bevölkerung – hat nur noch ein einziges arbeitendes Kernkraftwerk und verzichtet bereits heute völlig auf Energie aus Kohle.
Werden Politiker von den großen vier Energieversorgungsunternehmen instrumentalisiert?
Stark beeinflusst auf jeden Fall. Erinnern Sie sich an eine Anzeigenserie über die Vorteile der Braunkohle? In ihr gaben Professoren ihren guten Namen her, um zu verkünden: Braunkohle gehört die Zukunft in Deutschland. Das sieht ein Großteil unserer Bürger völlig anders. Dabei hätten die großen Energieversorger jetzt sogar eine seltene Chance: Wenn sie bei der Einführung neuer Technologien führend dabei wären, könnten sie mit neuen Systemlösungen global große Umsätze machen.
Braucht es zum Durchsetzen der Energiewende weiterhin öffentliche Fördergelder?
Eigentlich nicht. Die Energiewende ist deutlich über dem Berg und beginnt sich aus rein ökonomischen Gründen zu lohnen. In Deutschland stellen wir Solarstrom bereits für 8 Cent je Kilowattstunde (Ct/kWh) her. In südlichen Ländern kostet er sogar nur noch die Hälfte. In den meisten Ländern hängt das Wachstum der Photovoltaik nicht mehr von staatlichen Programmen ab. Um 2050 werden wir auch bei uns Solarstrom für 2 Ct/kWh herstellen. Kernkraft ist nicht mehr konkurrenzfähig. Beim britischen Kernenergieprojekt Hinkley Point rechnet man mit 11 Ct/kWh. Für die Investitionskosten eines 1,2 Gigawatt-Kernkraftwerkes in Höhe von etwa 5 Milliarden Euro kann man heute eine Photovoltaik-Produktion aufbauen, die jährlich Module mit einer Gesamtleistung von 9 Gigawatt herstellt! Die Politik muss allerdings die richtigen Rahmenbedingungen setzen, auch für den Betrieb von Speichern, und weiterhin die Forschung unterstützen, die unerlässlich ist, um die Kosten bei verbesserten Effizienzen weiter zu senken. Ich bin mir sicher: Diese ökonomischen Faktoren werden sich rascher am Markt durchsetzen als die wichtigen Beweggründe pro Klimaschutz. Dass das so gekommen ist, verdanken wir vor allem unseren Anstrengungen in Deutschland. Darauf sollten wir stolz sein.