Hirnforschung - Warum können Menschen denken und Tiere nicht?
Profil des Wissenschaftlers
Josef Helmut Reichholf arbeitet seit 1974 an der Zoologischen Staatssammlung in München. 1995 wurde er dort Leiter der Wirbeltierabteilung. Der gebürtige Niederbayer (Jahrgang 1945) verbrachte nach seiner Promotion einen einjährigen Forschungs-aufenthalt in Brasilien und Paraguay. Reichholfs Forschungsschwerpunkte sind Evolutionsbiologe und Ökologie. Er ist Honorarprofessor an der Technischen Universität München. Öffentlich bekannt wurde er als Autor oder Co-Autor von populären naturwissenschaftlichen Büchern sowie als Kolumnist in vielen Medien. 2007 erhielt er von
der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung den Sigmund-Freud-Preis für
wissenschaftliche Prosa.
Pressebericht
Den Pressebericht im Lauffener Bote finden Sie hier
bild der wissenschaft interviewt...
Wer sich irrt, soll zahlen!
Josef H. Reichholf besitzt die Gabe, naturwissenschaftliche Forschung plakativ unter die Menschen zu bringen. Dabei legt er sich auch mit renommierten Kollegen an.
bild der wissenschaft: Sie haben in den letzten 30 Jahren Hunderte wissenschaftlicher
Arbeiten veröffentlicht und mehr als drei Dutzend populäre Bücher über Biologie, Ökologie oder Evolution geschrieben oder mitverfasst. Wie schaffen Sie das, Herr Reichholf? JOSEF H. REICHHOLF: Ich arbeite wohl sehr konzentriert. Die Bücher schreibe ich in meiner Freizeit. Die Inhalte gerade der letzten Bücher beziehen sich auf viele Jahre meiner Forschung und Lehre. So enthält das Buch über die Stadtnatur eigene Untersuchungen in München, mit denen ich bereits in den Siebzigerjahren begonnen habe und die sich bis in die Gegenwart hinziehen.
Was drängt Sie, Bücher zu schreiben? Das begann damit, dass ich zu Beginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn gebeten wurde, zu diesem oder jenem Thema etwas zu schreiben. Das hat mich gereizt. So kam ich fast automatisch zum Bücherschreiben, wobei ich nur zwei oder drei Buchthemen selbst vorgeschlagen habe. Bei einem davon, „Das Rätsel der Menschwerdung“, habe ich eine kleine Odyssee hinter mich gebracht, ehe ich einen Verlag fand, der das Buch machen wollte.
Gerade dieses Buch war dann sehr erfolgreich. Verraten Sie uns die Gesamtauflage? In Deutschland ist es in der elften Auflage, dazu kommt ein Dutzend Übersetzungen. Insgesamt hat sich das Buch rund 50 000 Mal verkauft.
Wie gehen Sie beim Schreiben vor? Eigentlich ganz einfach: Ich erstelle eine Gliederung, setze mich hin und schreibe. Ich kann mich auf die einzelnen Kapitel gut konzentrieren. Wenn ich unterbrechen muss, bin ich später sofort wieder im Text. Was ich geschrieben habe, korrigiere ich nur noch geringfügig. Wenn ich am Abend drei, vier Stunden Zeit habe, komme ich meist sehr gut voran.
Bücherschreiben hat Sie bekannt gemacht. Hat es auch dazu verholfen, den darin behandelten Themen Akzeptanz zu verschaffen? Natürlich hofft man das. Eines gefällt mir: Durch Bücher erreicht man auch Teile der Gesellschaft, von denen man eigentlich gar kein Interesse erwartet hätte. Selbst Manager kann man damit beeindrucken.
Vor Kurzem haben Sie über die Medien einen Streit mit Professor Stefan Rahmstorf über die Folgen des Klimawandels ausgefochten. Sie sind – im Gegensatz zu Rahmstorf – der Auffassung, dass eine gemäßigte Erwärmung nicht zwangsläufig zu einer Bedrohung der Natur führt, sondern sogar Perspektiven eröffnet. Was haben Sie aus diesem Disput gelernt? Erstens, dass man sich eine kritische Position zum Mainstream nur leisten kann, wenn man selbst nicht mehr auf Forschungsmittel schielen muss. Und zweitens vor allem, dass keineswegs immer der seriöse Weg eingeschlagen wird, wenn es um politische Positionen in der Wissenschaft geht. Herr Rahmstorf hat mich und andere Kritiker mit persönlichen Angriffen öffentlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in anderen Medien zu diskreditieren versucht. Es ging ihm darum, skeptische Journalisten und Wissenschaftler zum Schweigen zu bringen, die seine politischen Strategien gefährden könnten. Mir haben Rahmstorfs Angriffe jedoch so viel öffentliche Aufmerksamkeit und viele Einladungen zu Vorträgen und Diskussionen eingebracht, dass ich ihm nachgerade dankbar bin.
Ich habe Herrn Rahmstorf als streitbaren, gleichwohl aber auch als entgegenkommenden Wissenschaftler kennengelernt. Ihr Eindruck ist offenbar ein anderer. Das mag daran liegen, dass er Medien wie bild der wissenschaft braucht, wenn – wie zurzeit – seine Ansichten auf breiter Front in Zweifel gezogen werden.
Mit Ihrer Ansicht, dass der Klimawandel zunächst einmal keine Gefahr für die Artenvielfalt bedeutet, stehen Sie abseits der herrschenden Lehrmeinung. Fühlen Sie sich dabei als einsamer Wolf? Ganz und gar nicht, denn ich gehe von Befunden und nicht von Befürchtungen aus. Eine der interessantesten Erfahrungen der Auseinandersetzung mit Rahmstorf war, dass die Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen der unabhängigen Wissenschaft die Lage ganz ähnlich wie ich einschätzt. Es ist eine Minderheit, die die öffentliche Meinung dominiert und so die politischen Richtlinien prägt. Der Mainstream wird erst über die Medien erzeugt. So glaubt zum Beispiel kein einziger der Kollegen in der Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften den klimatischen Weltuntergangsszenarien. Doch für die Symposien der neutralen Bayerischen Akademie der Wissenschaften interessierte sich weder die überregionale Presse noch das bayerische Umweltministerium.
Soll das heißen, dass die jetzige Situation der Klimaforschung vergleichbar ist mit der Waldforschung Anfang der Achtzigerjahre, als nur jene Wissenschaftler medial wahrgenommen wurden, die erklärten, der deutsche Wald stürbe bis zum Ende des 20. Jahrhunderts? Genau dies trifft zu. Denn auch damals wurde gegen diejenigen, die eine kritische Haltung einnahmen und vor einer Hysterie warnten, ein Kesseltreiben veranstaltet. Und obwohl der deutsche Wald heute grüner und stärker dasteht als zu Beginn des „Waldsterbens“, wurden die Skeptiker bis heute nicht rehabilitiert.
Was lief denn damals schief? Es war ein grober Fehler, davon auszugehen, dass ein Wald aus hundert Prozent gesunden Bäumen besteht. Das gibt es in keiner Population – nicht bei Tieren, nicht bei Menschen. Die Waldgesundheit wurde nicht an realen Mittelwerten gemessen, sondern an unwirklichen Höchstnormen. Die Methode der Schadenserhebung war zudem ganz unwissenschaftlich.
Wir werden heute aus allen Richtungen überschüttet mit wissenschaftlichen Prognosen, Trends oder Szenarien. Wem soll man glauben? Ich vertrete die Auffassung, dass Wissenschaftler für etwaige Folgekosten zur Rechenschaft gezogen werden sollen, wenn sie diese durch ihre falschen Prognosen mitverursacht haben. In der Privatwirtschaft ist das längst so. Dort werden die Manager gefeuert, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen und ihre Prognosen nicht eintreten. Bei Professoren begleicht der Staat den Schaden – und zwar pausenlos in vielen Bereichen!
Heißt das, dass wissenschaftliche Dispute verstärkt in der Öffentlichkeit ausgetragen werden sollten? Gerade Forschungseinrichtungen, die öffentlich finanziert werden, sollten auch Rechenschaft darüber abgeben müssen, was sie aus den Mitteln machen und wie zuverlässig ihre Prognosen sind. Es verstößt gegen das Grundprinzip der Naturwissenschaften, abweichende Meinungen zu unterdrücken. Die Naturwissenschaften sind deshalb so erfolgreich geworden, weil Skepsis hier eine wesentliche Rolle spielt – das stete Hinterfragen von Befunden, Konzepten und Interpretationen.
Welche Bedeutung hat der Wissenschaftsjournalismus für die Wahrnehmung wissenschaftlicher Arbeiten? Die mediale Aufmerksamkeit für die Wissenschaft hat sich meinem Eindruck nach zwar deutlich verstärkt, aber eine Kritik will ich hier dennoch äußern. Der deutsche Wissenschaftsjournalismus ist zu amerikagläubig. Was aus den USA kommt, wird bevorzugt vorgestellt. Erstklassige Forschungsergebnisse, die bei uns oder sonstwo in Europa erarbeitet wurden, erwähnt man – wenn überhaupt – oft nur am Rande. Das muss sich ändern. Deshalb sollte die Öffentlichkeitsarbeit an Universitäten und Forschungseinrichtungen deutlich aufgestockt werden. Nur wenn unsere Wissenschaft ihre Ergebnisse so aufbereitet, dass Journalisten und Öffentlichkeit damit etwas anfangen können, wird die Wissenschaftsskepsis in Deutschland zu überwinden sein.
Haben Sie Vorbilder bei der Popularisierung? In der Evolutionsbiologie sogar zwei: Der Schweizer Adolf Portmann, der von 1897 bis 1982 lebte, verstand es hervorragend, biologische Forschung über Bücher und Rundfunkinterviews in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich glaube, dass mich seine Bücher gelehrt haben, zu verstehen, wie man schreiben muss, um öffentlich wahrgenommen zu werden. Der zweite Wissenschaftler war Stephen Jay Gould, der leider 2002 – nur 61-jährig – gestorben ist. Beide waren nicht nur in der Lage, verständlich zu schreiben, sondern sie schrieben geradezu attraktiv. Verständlichkeit reicht nämlich nicht. Das kann sogar furchtbar fade sein, wenn es nichts weiter ist als eine Aneinanderreihung von Fakten. Spannung zu erzeugen, sodass ein Essay fast wie ein Minikrimi wirkt, war eine der großen Fähigkeiten von Gould. Der Amerikaner war ein Meister in der überraschenden Verbindung von Wissenschaft mit Geschichte oder Sport. Daran orientiere ich mich sehr gerne.
Wird die Öffentlichkeit durch die naturwissenschaftliche Forschung klüger – oder profitiert davon nur eine intellektuelle Elite? Wahrscheinlich trifft Letzteres zu. Die Öffentlichkeit hat nach wie vor zu wenig Interesse an naturwissenschaftlichen Befunden und Grundlagen. Von den über naturwissenschaftliche Forschung ermöglichten Produkten und verbesserten Verfahren – Fernsehen, Fliegen, Internet, Medizin – profitieren natürlich viele. Doch die meisten sind bloß interessiert an der Anwendung und nicht am zugrunde liegenden Prinzip. Man ist gegen Tierversuche, nutzt aber dennoch die Fortschritte in Medizin oder Pharmazie, die erst deshalb möglich sind. Ich gehe so weit zu sagen: Durch das starke Anwachsen der Weltbevölkerung schrumpft sogar der Prozentsatz der Menschen, die den Naturwissenschaften gewogen sind. Denn der Anteil derer, die etwas mit den Naturwissenschaften anzufangen wissen, wird aufgrund der weltweiten Bildungsmisere immer kleiner.
Das Gespräch führte Wolfgang Hess für bild der wissenschaft 10/2008
Bildnachweise
Josef Reichholf: V. Steger
Kind und Hund: photos.com