Nascarätsel gelöst?
Profil des Wissenschaftlers
Dr. Markus Reindel (Jg. 1960) gehört der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Bonn an.
Der gebürtige Karlsruher studierte Altamerikanistik, Ethnologie, Geographie und Spanische Philologie in Freiburg, Madrid und Bonn. Nach Forschungen zur vorspanischen Siedlungsgeschichte und der Maya-Kultur widmete er sich der Entschlüsselung der Rätsel um die Geoglyphen und Siedlungen der Nasca-Kultur in Palpa an der Südküste Perus.
Markus Reindel
arbeitet in der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des Deutschen Archäologischen Instituts in Bonn. Der gebürtige Karlsruher (*1960) studierte Ethnologie, Altamerikanistik, Geografie und Spanische Philologie in Freiburg, Madrid und Bonn. Nach Forschungsarbeiten zur vorspanischen Siedlungsgeschichte in Peru und Ecuador sowie zur Maya-Kultur in Mexiko entschlüsselte er von 1996 bis 2011 das Rätsel der sogenannten Nasca-Linien in Peru.
Pressebericht
Den Pressebericht im Lauffener Boten finden Sie hier.
bild der wissenschaft interviewt...
„Die Entscheidung war goldrichtig“
Südamerika ist für viele Archäologen der derzeit
spannendste Grabungskontinent. Markus Reindel vom
Deutschen Archäologischen Institut erklärt, warum.
bild der wissenschaft: Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, das Nasca-Rätsel zu lösen. Endlich wissen wir, wie diese vorspanischen Zeichnungen im peruanischen Niemandsland vor 2600 Jahren entstanden sind. Können Sie das bitte kurz und bündig erklären, Herr Dr. Reindel?
Markus Reindel: Nach heutigem Verständnis sind die Geoglyphen im Nasca-Gebiet eine Rituallandschaft für Wasser- und Fruchtbarkeitskulte. Bei unseren Untersuchungen der Lebensumstände der Nasca-Bevölkerung wurde schnell klar, dass Wasser das zentrale Element für die Menschen in den Wüstenoasen war, in denen sie versuchten, sich optimal an die besonderen Lebensbedingungen anzupassen. Dieses Wasser stand jedoch nicht immer in gleichbleibender Menge zur Verfügung. Ursache sind die dortigen Klimaveränderungen, die das Kulturgeschehen in den vergangenen 3000 Jahren deutlich beeinflusst haben: Die Siedlungsschwerpunkte verlagerten sich ständig, und die Siedlungen folgten dem sich verändernden Wüstenrand. Bis zu unseren Forschungsresultaten waren praktisch alle Wissenschaftler davon ausgegangen, dass dort seit Jahrtausenden ein stabiles Wüstenklima herrschte. Und niemand konnte begründen, wieso ausgerechnet in der Wüste derart ausgedehnte Geoglyphen entstanden sind. Vor dem Hintergrund unserer neuen Forschungen können wir heute sagen, dass die Geoglyphen nicht – wie bisher angenommen – Bilder waren, die die Menschen für die Götter in die Wüste zeichneten, sondern sie waren Aktionsflächen, auf denen rituelle Handlungen im Zusammenhang mit Wasser- und Fruchtbarkeitskulten vorgenommen wurden.
Gehen Sie so weit und sagen, dass der Einfluss des Klimas bei archäologischen Interpretationen auch in der Alten Welt bisher viel zu wenig beachtet wurde?
Auf jeden Fall. Deshalb befürworte ich die Zusammenarbeit zwischen Kulturwissenschaftlern und Geowissenschaftlern ausdrücklich. Die geografischen Bedingungen der Vergangenheit müssen unbedingt als Grundlage herangezogen werden, um Lebensbedingungen früherer Zeiten zu beurteilen. Wenn sich Einflüsse durch die umgebende Natur deutlich verändern, ergeben sich völlig andere Zusammenhänge. Archäologen, die das nicht berücksichtigen, können falsche Schlüsse ziehen.
Denken auch andere Archäologen inzwischen über ihre Fachgrenze hinaus?
Ich verstehe mich als einen typischen Vertreter einer neuen Generation von Archäologen. Auch früher arbeitete man in der einen oder anderen Weise mit anderen Fächern zusammen. Aber heute ist die intensive Kooperation insbesondere mit naturwissenschaftlichen Disziplinen quasi Standard. Anders als Archäologen-Generationen vor mir wurde ich für meinen interdisziplinären Ansatz nie angegriffen. Im Gegenteil: Ich konnte experimentieren und versuchen, viele neue Methoden in die Archäologie einzubringen. Moderne Archäologen arbeiten – wo immer es nützlich erscheint – mit anderen Fachwissenschaftlern zusammen.
Ist die herkömmliche Archäologie, die keine naturwissenschaftliche Methoden verwendet, damit am Ende?
Nein, bestimmt nicht. Sie hat ja im Verbund mit anderen Disziplinen ihren eigenen Stellenwert. Wer sich aber heute ausschließlich auf die archäologischen Methoden beschränkt und sich den Nachbarwissenschaften entzieht, kommt mit Sicherheit zu unvollständigen Ergebnissen.
Was hat Sie zur Archäologie gebracht?
Ich kam ihr, wie ein Adler, in Kreisen näher. Als mich meine Eltern in einem Gymnasium mit naturwissenschaftlichem Zug anmelden wollten, sagte Klein-Markus: Nein, ich will auf das altsprachliche Gymnasium. Dafür nahm ich sogar eine Dreiviertelstunde Anreise mit dem Fahrrad in Kauf. Nach dem Abitur drängte es mich, weitere Sprachen zu lernen. Reisen in die Welt gehörte schon damals zu meinem Programm. In der Klasse hatte ich den Spitznamen „Holiday-Reindel“. So lernte ich zunächst Neugriechisch, danach Spanisch, und als 19-Jähriger machte ich mich für sechs Monate nach Lateinamerika auf. Anschließend studierte ich Ethnologie. Die Vorstellung, für meine Forschungen Leute in ihrem Wohnzimmer nach Verwandtschaftsbeziehungen ausfragen zu müssen, fand ich allerdings nicht berauschend. Während Ferienjobs als Grabungshelfer in Freiburg wurde mein Interesse für die Archäologie geweckt. Ich machte dann ein Museumspraktikum in Madrid und setzte anschließend in Bonn mein Studium mit dem Schwerpunkt Altamerikanistik fort.
Worin unterscheidet sich die Entwicklung der ursprünglichen Bevölkerung Amerikas von jener der Alten Welt?
Einmal besiedelten Menschen den Kontinent sehr spät. Nach heutigem Stand ist das gerade 14 000 Jahre her. Die Alte Welt hatte damals bereits einige Millionen Jahre menschlicher Entwicklungsgeschichte hinter sich. Bemerkenswert ist, dass sich die Ur-Amerikaner dann aber vollkommen losgelöst von der Alten Welt entwickelt haben. Zum Ersten geschah das durch die Anpassung an den dortigen Naturraum. Zum Zweiten – was meiner Meinung nach entscheidend war – fehlte den Menschen der Austausch von Wissen, Gütern oder Populationen über große Distanzen und Kulturräume hinweg. Auch die Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht – in der Alten Welt als „Neolithisierung“ bezeichnet – folgte einem anderen Muster als in Europa: In manchen Teilen Amerikas sind die kalten Meeresströmungen so fischreich, dass man die Fische praktisch bis heute so eben aus dem Meer holen kann. Das hat dazu geführt, dass die Menschen sesshaft wurden, obwohl sie eigentlich Sammler und Jäger waren. Und anders als in der Alten Welt spielte in Südamerika die Viehzucht keine wichtige Rolle. Lamas und Alpakas waren die einzigen großen domestizierten Tiere. Sie können nur geringe Lasten tragen, weshalb die Menschen in Südamerika fast alles zu Fuß transportierten.
Die Iberer haben in Südamerika die indigene Entwicklung gekappt. Wie stark engagieren sich Spanien und Portugal heute, um die präiberische Geschichte aufzuarbeiten?
Spanien ist an der Aufarbeitung der eigenen Geschichte Südamerikas, also derjenigen vor der Ankunft der Europäer, sehr interessiert – aus wirtschaftlichen Gründen und weil man sich verpflichtet fühlt, Fehler der Kolonialzeit auszugleichen. Die frühen Amerikaner hatten sich kulturell an die Umwelt angepasst, was mit der Ankunft der Europäer zerstört wurde. Da aus Südamerika keine Schriften überliefert sind, haben wir keine Aufzeichnungen über diese Zeit. Dieses verlorengegangene Wissen kann man nur mit den Methoden der Archäologie aufarbeiten, indem wir die Relikte früherer Zeiten finden, ausgraben und in Beziehung setzen.
Wie nahe an der Realität sind die Annahmen der Archäologen wirklich?
Archäologie ist immer Interpretation. Im Regelfall haben wir einen fragmentarischen Befund und müssen den interpretieren. Das ist nicht nur eine Frage des Ermessensspielraums, sondern auch eine Frage der archäologischen Schulen.
Was bedeutet das?
Das heißt, dass wir immer mit Modellen arbeiten. Aber das tun ja Physiker und andere Naturwissenschaftler auch. Je mehr Daten wir haben, umso besser können wir unsere Modelle ergänzen. Manchmal müssen wir diese Modelle aufgrund wichtiger Neufunde auch vollkommen verwerfen und neu strukturieren. Das ist das Spannende an der Archäologie und an der Wissenschaft im Allgemeinen. Und in Südamerika leisten wir an vielen Stellen noch Pionierarbeit.
Wie werden die interessanten archäologischen Funde in Peru selbst gesehen?
Durch die wirtschaftlich gute Situation, in der sich Peru inzwischen befindet, entwickelt sich eine lange Zeit kaum vorhandene Mittelschicht. Und die ist authentisch peruanisch und sucht selbstbewusst nach den eigenen Wurzeln. Sehr erfreulich ist, dass sich viele Menschen dort mit Archäologie beschäftigen. Junge Peruaner interessieren sich für die Geschichte des Landes, studieren Archäologie und wollen die neuen Erkenntnisse ihren Landsleuten nahebringen. Das hebt das Selbstbewusstsein – und das ist nötig. Denn der mediale Einfluss suggeriert auch in Peru oft, dass US-Amerikanisches oder Europäisches besser und moderner sei als Südamerikanisches.
Woran arbeiten die peruanischen Archäologen konkret?
Die ersten originär peruanischen Langzeitprojekte begannen mit der Entdeckung der Fürstengräber von Sipán durch den peruanischen Archäologen Walter Alva 1987. Er hat sehr reiche Gräber mit sehr viel Gold in ungestörtem Zustand gefunden. Daraus hat sich die Moche-Archäologie entwickelt.
Was ist darunter zu verstehen?
Da gibt es die Huaca de la Luna in Trujillo, wo riesige bunte Lehmreliefs freigelegt werden. Dann gibt es einen ähnlich großen Komplex von Lehmbauten im Chicama-Tal, das weiter nördlich liegt. Und man hat sehr viele Fortschritte gemacht, was die Frühzeit der peruanischen Kulturentwicklung anbelangt. Die Wurzeln der südamerikanischen Hochkulturen liegen, wie man heute weiß, im sogenannten Archaikum, im 4. Jahrtausend v.Chr.
Das ist ein Wort – Südamerika so früh so hoch entwickelt wie der Vordere Orient!
Mit diesen Neuentdeckungen kann man die Anfänge der sogenannten Hochkulturentwicklung in Südamerika ähnlich früh ansetzen wie in der Alten Welt, in der damals die ersten Stadtkulturen entstanden sind. Dazu gehören die Grabungen in Caral, der ältesten Stadt Amerikas, und die Grabungen des deutschen Kollegen Peter Fuchs, dem ein noch älteren Fund gelang, nämlich frühe Monumentalbauten, die um 3500 v.Chr. errichtet wurden. Die Freude, die man als Archäologe verspürt, wenn man solche Entdeckungen macht, hat mich im Übrigen nach Südamerika gehen lassen. Anders als im Nahen Osten können dort auch heute noch viele grundlegende Dinge erforscht werden.
Was zeichnet einen erfolgreichen Archäologen aus?
Man muss gut strukturiert sein, es schaffen, die Gedanken zu ordnen und Strategien festzulegen. Und da man nicht alleine arbeitet, muss man auch gut mit Menschen umgehen können. Nicht zuletzt muss man ein Gefühl dafür haben, wo es langgeht. Ich persönlich arbeite gerne an größeren Projekten: Wenn gleichzeitig an fünf Stellen gegraben wird, ist es wahrscheinlicher, dass ein Team etwas Interessantes findet. Und das motiviert die gesamte Grabungsgruppe. Wer sich dagegen nur auf eine Grabung konzentriert und nichts findet, hat ein Problem.
Gibt es für Sie herausragende Erlebnisse?
Die gibt es tatsächlich, gerade in Zusammenhang mit den Geoglyphen der Nasca-Kultur. Ursprünglich hatten wir geglaubt, dass unsere Grabungen in den Siedlungen den Schlüssel zur Erklärung der Geoglyphen bringen würden. Doch den haben wir dort nicht gefunden. Es war dann eine tiefgreifende Weichenstellung, zu entscheiden, ob wir das Naheliegende machen und in anderen Siedlungen weitergraben – oder ob wir etwas völlig Neues versuchen und direkt auf den Geoglyphen graben. Das hatte bis 2003 niemanden interessiert. Die Entscheidung für die Geoglyphen erwies sich als goldrichtig. Bei unseren Grabungen dort haben wir kleine Gebäude gefunden – und damit begann die ganze Uminterpretation. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Geoglyphen nicht einmalig als Bilder angelegt wurden, sondern dass dort ständig etwas geschah. Die Anlage der Geoglyphen war die eigentliche Kulthandlung. Als wir schließlich noch kleine Altäre mit Opfergaben fanden, wurde klar, dass wir die Geoglyphen vollkommen neu interpretieren mussten. Jetzt bekam vieles einen Sinn, was vorher rätselhaft erschien. Insbesondere ließen sich in das neue Erklärungsmodell alle Daten einpassen, die wir bei jahrelangen Geländearbeiten und Ausgrabung gewonnen hatten.
Sind Ihnen schon einmal Grabräuber zuvorgekommen?
Bei den von uns untersuchten Gräbern in La Muña haben Grabräuber alles herausgeholt, was sie verkaufen konnten: Keramiken, die guten Goldsachen, Goldschmuck. An den Resten, die wir noch vorfanden, konnten wir erkennen, was einmal in diesen Kammern gewesen sein muss. Dieser brachiale Raub macht mich immer noch wütend. Mir geht es dabei nicht um das Gold, das verschwunden ist, sondern um die Bestandsaufnahme, wie die Dinge bei der Bestattung angeordnet waren, und die Schlüsse, die man als Archäologe damit über die damalige Zeit hätte ziehen können. Noch mehr als die Grabräuber ärgern mich die Sammler, die solche Dinge kaufen und bei sich zu Hause gewissermaßen als Trophäen präsentieren.
Das Gespräch führte Wolfgang Hess