Verschwommenes Foto mit einer Gedichtzeile Hölderlins

Gedichte

Der Neckar

Gedichte

Der Neckar

 

 

In deinen Tälern wachte mein Herz mir auf

Zum Leben, deine Wellen umspielten mich,

Und all der holden Hügel, die dich

Wanderer! kennen, ist keiner fremd mir.

 

Auf ihren Gipfeln löste des Himmels Luft

Mir oft der Knechtschaft Schmerzen; und aus dem Tal,

Wie Leben aus dem Freudebecher,

Glänzte die bläuliche Silberwelle.

 

Der Berge Quellen eilten hinab zu dir,

Mit ihnen auch mein Herz und du nahmst uns mit,

Zum stillerhabnen Rhein, zu seinen

Städten hinunter und lustgen Inseln.

 

Noch dünkt die Welt mir schön, und das Aug entflieht

Verlangend nach den Reizen der Erde mir,

Zum goldenen Paktol, zu Smyrnas

Ufer, zu Ilions Wald. Auch möcht ich

 

Bei Sunium oft landen, den stummen Pfad

Nach deinen Säulen fragen, Olympion!

Noch eh der Sturmwind und das Alter

Hin in den Schutt der Athenertempel

 

Und ihrer Gottesbilder auch dich begräbt,

Denn lang schon einsam stehst du, o Stolz der Welt,

Die nicht mehr ist. Und o ihr schönen

Inseln Ioniens! wo die Meerluft

 

Die heißen Ufer kühlt und den Lorbeerwald

Durchsäuselt, wenn die Sonne den Weinstock wärmt,

Ach! wo ein goldner Herbst dem armen

Volk in Gesänge die Seufzer wandelt,

 

Wenn sein Granatbaum reift, wenn aus grüner Nacht

Die Pomeranze blinkt, und der Mastixbaum

Von Harze träuft und Pauk und Cymbel

Zum labyrinthischen Tanze klingen.

 

Zu euch, ihr Inseln! bringt mich vielleicht, zu euch

Mein Schutzgott einst; doch weicht mir aus treuem Sinn

Auch da mein Neckar nicht mit seinen

Lieblichen Wiesen und Uferweiden.