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Aktuelle Nachrichten | Keßler, Bettina | 18.11.2024

Wo aus Wurzelwerk Wunderwerk wird

Der Maulbronner Kammerchor überzeugte mit höchster Professionalität und bewegendem Klang ein begeistertes Publikum in der Regiswindiskirche

Der Maulbronner Kammerchor mit Dirigent Benjamin Hartmann und dem Programm "Die Wurzel Jesse" am 16.11.204 in der Lauffener Regiswindiskirche
Der Maulbronner Kammerchor mit Dirigent Benjamin Hartmann bekam stehende Ovationen für sein berührendes Konzert unter dem Motto "Die Wurzel Jesse" am vergangenen Samstag in der Lauffener Regiswindiskirche.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so konzentriert und besinnlich beginnt der Maulbronner Kammerchor mit einem samtweichen Piano und Franz Biebls innigem „Ave Maria“ sein Konzert am vergangenen Samstagabend in der gut besetzten Lauffener Regiswindiskirche. Schon mit dem ersten Stück setzt der Chor direkt den Charakter des Konzerts, das sich die fantastische Akustik des Kirchenraums voll zu Nutze macht. Einzelne solistische Stimmen aus dem Chor beginnen das Stück, glockenklar klingt der Sopran aus dem Chorraum und breitet sich nach vorne ins Hauptschiff aus. Das Lauffener Publikum erwartet die Vorpremiere des brandneuen Advents- und Weihnachtsprogramm des renommierten Klangkörpers unter Leitung seines jungen und doch schon sehr erfahrenen Dirigenten Benjamin Hartmann. Der Landtagsabgeordneter Erwin Köhler begrüßt nach dem ersten Stück das Publikum als Schirmherr des Orgelfördervereins der Regiswindiskirche zu diesem Benefizkonzert, das vom Veranstaltungsteam des Vereins zusammen mit dem städtischen Kulturprogramm „bühne frei…“ verwirklicht werden konnte.

Auf eindrucksvolle Weise gelingt es Dirigent Hartmann im Laufe des Konzerts seinen exzellenten Klangkörper voll und ganz in Szene zu setzen: Für fast jedes Lied nehmen die Sängerinnen und Sänger des Chors unterschiedliche Positionen im Raum ein, um den genau für dieses Lied perfekten Zusammenklang zu erschaffen. So teilt sich etwa bei Jonathan Lanes „There is no rose“ von 2021 ein Soloquartett ab und tritt mit dem Hauptchor von der Treppe zum Glockenturm aus in einen musikalischen Dialog: wunderschön, transparent, aber auch kraftvoll klingen die lateinischen Einwürfe „gaudeamus“ (Lasset uns fröhlich sein) oder „transeamus“ (Lasset uns hingehen (zum Messias)), die an die Hirten rund um die Geburt Jesu gerichtet sind. Und so nähert sich der Chor, wie Dirigent Hartmann erläutert, Stück für Stück dem Thema des Konzerts an: Dem fast kindlichen Staunen, wie aus einer verdorrten Wurzel der Messias geboren werden kann, wie auf einmal Licht im Dunkeln der Welt erscheint.

Dieses Wurzelwerk ist für den Maulbronner Kammerchor und seinen Dirigenten musikalisch etwa in der Gregorianik zu finden, dem Ausgangspunkt des mehrstimmigen Chorgesangs. Doch auch insgesamt besinnt sich der Chor in diesem Programm zurück auf die Kraft des traditionellen Chorals als Wurzelwerk der geistlichen Musik. Und die findet der Chor nicht nur in dem gregorianischen „Iustorum animae“, das sich vom einstimmigen Anfang nach und nach auffächert bis es höchste Höhen und tiefste Tiefen auslotet um in einem friedvollen und intensiven „in pace“ (in Frieden) zu enden, sondern auch in moderneren Werken von Maurice Duruflé (1960), Charles Villiers Standford (1905) oder Anton Bruckner (2. Hälfte 19. Jahrhundert).

Von Bruckner präsentiert der Chor anlässlich dessen 200. Geburtstags gleich drei Werke: Während das emotional dirigierte „Virga jesse floruit“ in einem kunstvoll auseinanderstrebenden und sich wiedervereinigenden „Hallelujah“ gipfelt, setzt Hartmann einen bewussten Kontrapunkt mit Bruckners „Ave Maria“ zum harmonischen Klang Biebls vom Beginn des Konzerts. Bruckners Gruß an die Gottesmutter steigert sich vom zartesten Pianissimo zum triumphalen „Sancta Maria“. Das Lied macht deutlich, dass diese Maria durchaus die Kraft hat, für die armen Sünder erfolgreich zu bitten. Eindrucksvoll, welche Dynamik bei einem solch außergewöhnlichen Klangkörper selbst ein einfaches „Amen“ entfalten kann.

Ebenso ergreifend ist die Darbietung des bekannten Weihnachtslieds „Es ist ein Ros entsprungen“ von Michael Praetorius (1609). Für die klassische Version teilt sich der Chor erneut auf: Drei Kleinchöre positionieren sich vorne links und rechts vor den Seiteneingängen, einer hinten am Haupteingang, wo sie sich mit den einzelnen Strophen abwechseln. Ein echter Gänsehautmoment ist jedoch der Zeitpunkt, wo der Chor die alte Melodie in die Moderne holt. Einen raumfüllenden Klangteppich rollt der Chor aus, wenn er der Version des Lieds von Jan Sandström Leben einhaucht: Ein schwebender, luzider Wohlklang breitet sich im ganzen Kirchenraum aus, aus dem sich einzelne zarte Töne aus den zum Teil nordisch anmutenden Akkorden herauslösen und sachte zum Himmel schweben. Ein Genuss.

Den Abschluss des Programms bildet der bewegte Gospel „My soul’s been anchored in the lord“, bei dem man dem Chor anmerkt, wie viel Spaß er beim Musizieren unter seinem charismatischen Dirigenten hat. Befreit und fröhlich endet damit das offizielle Programm. Die mit stehenden Ovationen herbeigeklatschte Zugabe „Maria durch ein Dornwald ging“ schließt perfekt den Kreis dieses berührenden Konzertabends mit einem Chor der Extraklasse. Schöner kann eine Einstimmung auf die Advents- und Weihnachtszeit nicht sein.

Text und Fotos: Bettina Keßler

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