Aktuelle Nachrichten | Kast, Ingrid | 15.07.2024
Den Nachtigallen eine Insel - Bodenbrüter aus Afrika hatten's ehedem nicht leicht
Zwei Inseln im Neckar für die Nachtigall
„Vogelfreistätten“ des Bundes für Vogelschutz wurden sie ehedem genannt.
“Der Naturschutz” von Dr. Konrad Guenther 1910
Blättert man im dem bekannten und und beeindruckenden Büchlein von Konrad Guenther “Der Naturschutz”, so trifft man im 10. Kapitel “Vogelfreistätten des Bundes für Vogelschutz” auf zwei Abbildungen “Kleine Insel des Bundes für Vogelschutz bei Lauffen am Neckar” und “Große Insel des Bundes für Vogelschutz bei Lauffen am Neckar”. Neben der Vogelfreistätte auf einer Insel in der Brenz bei Giengen, wird die “auf zwei sehr schönen Inseln bei Lauffen” gelegene lobend erwähnt, “da sich hier eine der letzten Brutstätten der Nachtigall in Württemberg befindet und das Land in das Gebiet einer Fabrik hineinbezogen werden sollte, ist das Vorgehen des Bundes eine sehr dankenswerte Tat gewesen.”
![Große und kleine Insel für Vogelschutz](/system/getthumb/images/__tn1__ecics_31704_51817_620_9999.jpg)
Und weiter führt Guenther aus: “Man sieht, auch in der Schaffung von Naturfreistätten ist der Vogelschutz vorangegangen. Es war aber an der Zeit, (wir schreiben das Jahr 1909!) auch an unsere andere Tierwelt zu denken, an Frösche und Eidechsen, an Schmetterlinge und Käfer und all die anderen Gestalten, die dem Naturfreund lieb und wert sind, ebenso an die Pflanzen.” Wenige Seiten zuvor bemerkt Guenther:” Die Tiere und Pflanzen, die noch in wenigen Resten vorhanden sind, müssen geschützt werden und von schönen und charakteristischen Landschaftsbildern ist die Kultur, vor allem die Industrie fernzuhalten. Und schwach wäre es ja auch um den Menschengeist bestellt, wenn seine Technik nicht auch anderswo, als gerade an den schönsten Orten, ihr Ziel erreichen könnte!”
![Große und kleine Insel für Vogelschutz](/system/getthumb/images/__tn1__ecics_31703_51816_620_9999.jpg)
Dazuhin betont Guenther “An der Spitze der Bestrebungen, unserer Heimat die Schönheit und Eigenart zu erhalten und unser Volk zu lehren, Freude und Belehrung aus der Natur zu schöpfen, steht der Vogelschutz.”
Einzig die aus der Zeit gefallene Sprache erinnert uns daran, dass diese eindringlichen und warnenden Worte vor weit mehr als einem Jahrhundert geschrieben und verfasst worden sind. Durch das Buch zieht sich die verstörende Erfahrung eines ungeheuren Verlustes an Tier- und vor allem Vogelreichtum gegen Ende des 19. und zu Anfang des 20sten Jahrhunderts, angesichts der Zersiedelung der Landschaft durch die rasante Industrialisierung. Vielleicht können noch einige Leser, die die Landschaften von vor gut 50 Jahren vor Augen haben ermessen, welch ein Verlust inzwischen eingetreten ist. Dass ein ebensolcher schon vor weit mehr als 100 Jahren empfunden werden konnte erschreckt umso mehr, denn wir Älteren erinnern den Zustand der Landschaften und der Tierwelt aus unserer Jugend als relativ intakt, obwohl sie in den 50ger und 60er Jahre damals schon längst nicht mehr war.
![Lisa Hähnle](/system/getthumb/images/__tn1__ecics_22593_35558_620_9999.jpg)
Nun aber zur Nachtigall, deren einzige Noch-Brutstätte in Württemberg 1909 die beiden Inseln im Neckar bei Lauffen waren. Wie ist der rapide Rückgang der Nachtigall Population erklärbar und auch deren Erholung auf ein relativ ordentliches Maß (z. Zt. Etwa 90.000 Brutpaare/ Jahr)?
Das alles hat mit tiefgreifenden Klimaveränderungen gegen Ende des 19. Jhdts. zu tun. In aller Kürze: Seit dem Beginn der sog. Kleinen Eiszeit nahm die Vergletscherung der Alpen zu und erreichte zwischen 1886/87 und 1895/96 ihren Höhepunkt. (Seitdem gehen sie wie bekannt wieder zurück und haben ihren fast 400 Jahre währenden Zuwachs wieder verloren.) Im Gefolge der ausklingenden Kaltzeit stellte sich in Mitteleuropa ein ausgesprochen ozeanisches Klima ein, welches bis in die 20er Jahre des 20. Jhdts. anhielt. Dies bedeutete relativ milde Winter und gleichzeitig feuchte und kühle Sommer. Erst Mitte der 30er Jahre wurden die Sommer wieder wärmer und die Winter kühler. Die Nachtigall, die mit den feuchten kühlen Frühlingen und Sommern nicht zurechtkam (kalte Winter stören sie in Afrika südlich der Sahelzone als Zugvogel nicht), wurde durch die genannte Klimaveränderung ab 1890 bis 1935 an ihren angestammten Brutstätten gestört. Erst danach konnte sie sich wieder ansiedeln. Der starke Rückgang der Nachtigall Population und die beiden Vogelinseln im Neckar als letzte noch mögliche Brutstätte (wohl aufgrund des günstigen Klimas in Lauffen!) ergeben sich aus einer temporären Klimaveränderung. Die Nachtigall als Langstreckenzieher kam mit dem geringsten Temperaturunterschied Winter-Sommer zwischen 1896 und 1927 seit dem Temperaturaufzeichnungsbeginn nicht zurecht.*
*Quelle: Mitt. Bad. Landesver. Naturkunde u. Naturschutz 1967 NF9 “Klimaschwankungen in Europa seit 1670(…)
Das soll und kann jetzt nicht heißen, die Nachtigalleninsel als Naturschutzgebiet sei letztendlich überflüssig gewesen, im Gegenteil: Es ist beeindruckend, wie schon vor weit mehr als 100 Jahren vorausschauende Zeitgenossen sich dem tiefempfundenen Naturverlust entgegengestemmt haben und auch ganz praktisch erste „Vogelfreistätten“ sprich Naturschutzgebiete eingerichtet haben. Allen voran hier in Lauffen erwarb Lina Hähnle 1908, die Gründerin des Bundes für Vogelschutz und damit des heutigen NABU, das im Neckar liegende Fleckchen Natur. Fast 120 Jahre später liegen die ehemals zwei Inseln – seit dem Kanalbau vereint - , die Nachtigalleninsel immer noch bewahrt in NABU-Hand, inzwischen im Eigentum der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe.
Der Nachtigall, ER singt, brütet auch abwechselnd mit seinem Weibe und erfreut mit seinem Gesang so manchen Nachtschwärmer.
Vielen Dank an Wolfgang Weißinger für die Recherche zur Geschichte der Nachtigallen-Insel. Am Donnerstag, 1. August, 14 Uhr beehren uns u. a. Staatssekretär Andre Baumann und Landrat Dr. Norbert Heuser zu einer Feierstunde des NaBus zum 125. Geburtstag auf der Insel.
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